Semi Solitude – Schiffbruch mit Mieze – 02

Was vorher geschah:

Teil 1

Die meisten denken, dass Passierschiffe zu groß sind, um überhaupt unterzugehen. Außer sie sind italienisch. Bis es dann passiert.

Nun, unser Schiff war in Australien registriert. Ich vermag mir gar nicht auszumalen, welche Wellen unsere äquatoriale Katastrophe in der Presse nach sich zog. Unsere Insel wird nicht von Zeitungsausträgern angesteuert. Ich kann also nur mutmaßen, was in unserer Abwesenheit alles geschah.

Es ist aber durchaus möglich, dass es gar keine Opfer an Leben gab, denn eigentlich haben es doch alle in Rettungsboote geschafft, und bereits halbe Stunde später hörte ich einen Hubschrauber in den Wolken. Wir hielten das alles für ein großes Abenteuer.

Und dann kam der Sturm. Wir waren acht Leute in unserem Boot. An der Pinne saß einer der Seeleute. Ich erinnere mich, dass seine blau-schwarze Uniform einen Riss auf der Schulter hatte. Semi klammerte sich an ihre Plastiktüte, in der sich ihr Pass, ihr Handy und – wie sie mir später erzählte – ein kleines Makeup-Set befand. Typisch Influencer-Generation.

Das Rettungsboot rutschte von einer Welle zur anderen, und für einen Augenblick schien es, als verlören wir die Planken unter den Füßen. Ich spürte dieses Kitzeln im Bauch, das sich nur einstellt, wenn man auf einer Achterbahn ist. Semi kreischte kurz auf. Offensichtlich war ihr die wasserdichte Tüte aus den Händen gerutscht. Und was macht das verrückte Huhn? Richtet sich blitzartig auf und greift danach, als wäre das hier nur eine harmlose Runde Strandvolleyball.

Ich sah nur ihre Schuhsohlen vor meiner Nase und dann war sie verschwunden. Ich habe keine Ahnung, was mich geritten hat. Ein Held? Eindeutig nicht. Dazu fehlt mir das Zeug. Sagen wir mal, es war ein Reflex. Halbe Sekunde später war ich ebenfalls im Wasser.

Hätte ich nur alibi-mäßig ein wenig mit meinen Armen im Wasser gerudert, alle hätten es verstanden. Doch ich musste natürlich auf Action machen… Als ich unter Wasser die Augen öffnete, sah ich so gut wie gar nichts. Der Himmel über uns war stark bewölkt, dunkelgrau und es war ohnehin früher Abend.

Als mein Kopf wieder aufgetaucht war, sah ich sie nur drei Meter entfernt. Ich schwamm auf sie zu und packte den Rand ihrer Schwimmweste. Sie hielt sich noch immer an ihre Plastiktüte fest und trat das Wasser unter sich.

Es dauerte eine Weile, bis es mir in der unruhigen See gelang, uns umzudrehen, doch zu meiner Überraschung war von dem Boot keine Spur. Ich hörte die Stimmen und das Geschrei, sah jedoch nichts. Erst als wir an den Kamm der nächsten Welle getragen wurden, erblickten wir die verbleibenden sechs Leute in ihrem Rettungsboot. Sie tauchten kurz auf dem Kamm der übernächsten Welle. Es bestand kein Zweifel daran, dass sich die Entfernung zwischen ihnen und uns stetig vergrößerte.

Semi und ich hielten uns an den Händen, während wir mit den restlichen Gliedmaßen mit äußerster Anstrengung gegen das Wasser paddelten. Doch wie einem irrealen Albtraum verminderte sich die Entfernung zum Boot überhaupt nicht. Bald schon waren vier Wellenkämme zwischen uns, dann fünf. Es war unerklärlich. Sie versuchten zu uns zu paddeln, wir versuchten zu ihnen zu schwimmen. Doch die See war nicht einverstanden.

Nach einer Weile hielten wir uns nur noch in den Armen, erschöpft und zitternd, getragen von unseren Schwimmwesten. Ich erinnere mich, dass ich sie fragte, wie sie heißt. Es war mehr ein Versuch, die Angst vor dem Ertrinken und vor den Haien zu überspielen. So hatten wir uns kennengelernt. Und dann senkte sich die Nacht über uns und die Blitze und der Regen setzten ein.

Zweifelsohne werden wir zuhause als verschollen und tot geführt. Es sind bald zwei Jahre. Unsere Insel ist nur 800 Meter im Durchmesser und davon gibt es hier, zwischen Indonesien und Mikronesien tausende. Wir haben Wasser, wir haben meistens schönes Wetter und wir leben von Fischen und Kokosnüssen.

Wir waren nicht die ersten, die den Fuß auf diese Insel gesetzt haben. Auf der Nordseite fanden wir eine verlassene Hütte. Einfacher Bau aus Palmblättern und Bambus. Gerade mal 16qm groß. Aber mit einer schlichten Liege, die man für ein Bett halten könnte. Doch viel wichtiger war, dass dort allerlei alte Gebrauchsgegenstände standen. Rudimentäres Fischereizubehör, ein Topf, einige alte Decken, eine Schiffsleine, eine löchrige Schaufel und ein rostiges Messer.

Gesamtwert – vermutlich 10 Euro. Aber genau dieser Krempel hat uns das Leben gerettet. Ich muss allerdings zugeben, dass ich über eine Woche gebraucht habe, um einen Fisch zu fangen. Doch Inseln haben einen großen Vorteil – man hat auf ihnen viel Zeit, um einfach nur im Sand zu sitzen und über Problemlösungen nachzudenken.

Wir hatten natürlich – wie alle Schiffbrüchigen – auf dem Strand ein riesiges S.O.S. mit Steinen gebildet. Nun, „riesig“ war es nicht gerade, aber sichtlich groß genug für Google-Maps.

Die Sache mit dem Sex kam nach ungefähr sechs Wochen auf. Keinen Augenblick zu früh, wie ich fand. Und Semi war da zweiundzwanzig Jahre alt, mit einem Stoffwechsel, der vor Östrogen explodierte. Sie hatte mir gegenüber keinen Hehl daraus gemacht, dass sie vor dem Schiffsunglück keine Spaßbremse war.

Wir saßen jeden Tag am Strand und sahen der Sonne beim Untergang zu, ohne WLAN, Handy, oder TV. Da wird man nach einigen Wochen ziemlich gesprächig, weil es sonst nichts gab, das man tun konnte. Ich hatte zwar im Sand ein großes Schachbrett nachgezeichnet, mit Muscheln als Figuren. Doch Semi mochte kein Schach.

An diesem Tag hatten wir noch nicht gepoppt. Dennoch markiert dieser Tag den Anfang unserer Intimitäten. Denn Semi machte einen Vorschlag, der mir für eine Sekunde den Puls nach oben gehen ließ. Sie meinte, wir sollten – weit weg voneinander – jeder eine kleine Ecke der Insel bestimmen, die jeder nur für sich hat, um sich dort ungestört zu erleichtern.

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ein durchaus funktionierendes Latrine-System gebaut, das sogar die Gezeiten des Ozeans nutzt und sich selbst komplett reinigte. Ich war verdammt stolz darauf, da es besser funktionierte, als ich es erwartet hatte. Wollte sie nun so eine „Anlage“ nur allein für sich haben? Warum nicht. Es waren paar Stunden Arbeit. Ich hatte keine anderen Termine.

„Nein, nicht das“, meinte sie und giggelte vor sich hin. „Nicht die Art von erleichtern. Ich meine, wenn ich mir einen rubbeln will.“

„Oh“, sagte ich geistreich. Masturbation. Sie wollte es sich selbst machen können, ohne Angst haben zu müssen, dass ich plötzlich mit einem Bund Palmblätter auf der Schulter um die Ecke kam.

Ich war von ihrer Offenheit erstaunt und auch sichtlich fasziniert. Und dumm war die Idee nicht. Und ich betone es nochmal: die meiste Zeit gab es nicht viel zu tun. Es lag in der Natur der Sache, dass wir ein wenig den Rappel kriegten.

So schlug ich sogleich vor, einen Rundgang zu machen und eben eine Stelle zu finden, die fortan ihr Sanctuarium sein würde. Das Allerheiligste, zu dem ich keinen Zugang habe und um das ich einen weiten Bogen machten würde. Wir fanden eine kleine Ausbuchtung zwischen den Felsen. Hier war fast immer Schatten, da die Palmen direkt darüber wuchsen und sich tief über den Wellenspitzen verneigten.

Ich richtete sogleich einen großen Mast aus einem toten Palmenstamm auf. Oben hatte ich wie eine Fahne ein buntes Tuch drangehängt. Es war eine Warnung für mich, um nicht einmal aus Versehen ihr Sanctuarium zu betreten.

Das war aber nur augenzwinkernd gemeint. Oder symbolisch. Die Insel war so winzig, dass man selten mehr als 5 Minuten brauchte, um sie zu überqueren. Sprintend ließe es sich unter 45 Sekunden schaffen! Da verlief man sich also ab einem gewissen Punkt nicht mehr.

Unweit des Fahnenmastes bauten wir eine bequeme Liege. Meine handwerklichen Fähigkeiten hatten sich in den letzten 5 Wochen massiv gebessert. Insbesondere, wenn es darum ging, aus Fasern Seile zu stricken und Palmblätter zu verwerten. Am Ende sah das Ganze wie ein kleiner Altar im Schatten eines Felsens aus.

Die Gezeiten musste das Sanctuarium nicht fürchten. Ich wusste inzwischen bei jeder Ecke und jeder Mini-Bucht dieser Insel bescheid und das Wasser würde im Extremfall einige Meter jenseits ihrer zierlichen Füße halt machen.

Außer ein Taifun schlug hier ein. Aber das würde dann die ganze Insel dem Boden gleichmachen und alles, was wir darauf gebaut haben. Bisher hatten wir aber Glück.

Semi gab mir sogar einen Kuss. Es war der erste Austausch an Intimitäten. Nach 44 Tagen! Ein kurzer Kuss. Doch im Kopf hatten wir uns natürlich längst gegenseitig ausgezogen und nach Strich und Faden missbraucht.

Dann packte sie mich an den Schultern, drehte mich lachend um und stieß mich von sich.

„Mach dich vom Acker!“, rief sie. „Ich will mein … Sankt-was?“

Sanctuarium„, rief ich über die Schulter.

„Ich will mein Sanctuarium einweihen!“

Sie kam nach einer Stunde zurück zu unserer Hütte. Ich saß davor und bereitete mit dem Messer meinen Fang vor. Mangels Feuer gab es jeden Tag nur so eine Art Sushi ohne Reis. Mit anderen Worten: Rohen Fisch. Reich an Nährstoffen. Geschmacklich: so la-la. Aber man kann sich an rohes Fischfleisch relativ schnell gewöhnen. Doch kombiniert mit den Kokosnüssen war das eine durchaus effektive Nahrung.

„Wie war es?“ fragte ich anzüglich und grinste sie verschmitzt an.

„Herrlich“, sagte sie und trank einen Schluck Wasser. „Was ich dich fragen wollte: Ich möchte mehr nackt sein. Zu irgendwas muss doch eine einsame Insel gut sein, oder? Aber ich wollte sicher sein, dass dich das nicht irgendwie ständig irritiert.“

Ich grinste. „Es wird mich nicht irritieren. Versprochen. Vermutlich nimmt man es nach paar Tagen kaum noch wahr.“

Sie stieg mit äußerster Gelassenheit aus ihrer Kleidung und rannte über den Strand ins Wasser, um sich ausgelassen in die Brandung zu stürzen…

In solchen Augenblicken war es ziemlich schwer, unser Schicksal als das letzte Kapitel einer Katastrophe zu sehen, die mit der Kollision zwischen einem Passagier- und Containerschiff begonnen hatte. Dort am Rande des kleinen tropischen Wäldchens zu sitzen, dem Wind in den Palmen zu lauschen und Semi beim Nacktschwimmen zuzusehen fühlte sich nicht gerade katastrophal an.

Aber wir können auch nicht raus aus unserer Haut. Und so brütete mein Geist bereits darüber, wie es wohl wäre, Semi in ihrem Sanctuarium heimlich zuzusehen. Ich würde es nicht tun, versprach ich mir selbst. Oder…?

Semi Solitude – Schiffbruch mit Mieze Teil 3

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