Anja bat mich ein wenig über meine intimen Erfahrungen zu schreiben. Ich bin ja selbst schuld, weil ich ihr mal über einem Glas Wein erzählt hatte, es sei schade, dass ich nie ein Tagebuch geführt hatte und dass Erinnerungen mit jedem weiteren Jahr verblassen. So bemühte ich mich gar nicht erst um Ausreden und setzte mich lieber auf meine vier Buchstaben und schreib über den wichtigsten Menschen in meinem Leben, meine größte Freundin und meine wichtigste lesbische Geliebte.
Ich lernte Angelika während meines Praktikums kennen. Die graugekleidete blonde Dame, mit dem auffallend roten Lippenstift und einem strengen Dutt am Hinterkopf erschien mir wie eine Person aus einer anderen Zeit. Sie arbeitete im Rechnungswesen der Firma. Sie wirkte wie ein rigoroser Drache, der sogar die Manager tadelte, wenn die Belege nicht stimmten. Doch das war alles Fassade und Schutz ihres privaten Lebens, in dem sie eine sanfte, herzliche Frau war, die mehr erlebt und gesehen hatte, als ich es mir vorstellen konnte.
Angelika war sechsundfünfzig Jahre alt. Doch das fast dreifach höhere Alter war für uns kein Hindernis, um eine Freundschaft zu schließen, die intensiv und beständig war. Angelika hatte keine Pläne mehr für ihr Leben, außer ab und zu nach Paris und die Toskana zu fahren.
Ich wusste sehr bald, dass ich Hals über Kopf in Angelika verliebt war. Ob dieses Gefühl auf exakter Gegenseitigkeit beruhte, oder ob sie mehr eine mütterliche Zuneigung einer Mentorin für mich hegte, vermochte ich nicht zu sagen. Es reichte mir da zu sein, in ihrer Welt, in ihrer Gegenwart.
Das Eis brach endgültig, als sie mich zu einem Ausstellungsbesuch von Georgia O’Keeffe einlud. Ein wenig klischeehaft, ich gebe es zu. Angelika bat mich, sie zuhause abzuholen. Ich ertappte sie allerdings mit meiner Pünktlichkeit, so dass sie mich erstmal auf das große ultramarinblaue Sofa setzte und ein Glas Champagner vor mich stellte. Und während sie sich anzog und mit ihrer klaren, wenn auch nicht unnötig lauten Stimme mit mir aus ihrem Schlafzimmer heraus sprach, sah ich mich neugierig im Wohnzimmer um. An den Wänden hingen Reproduktionen und Prints. Es war eine eklektische Mischung, zwischen Mark Rothko, Angela Hampel und Dalí. Doch es fiel auf, dass sämtliche Bilder weitgehend dem Dunkelrot oder dem Dunkelblau gewidmet waren.
„Bist du eigentlich Single?“, hörte ich sie nebenan. Es dauerte eine oder zwei Sekunden, bis mir bewusst wurde, dass sie mich etwas fragte.
Ich bejahte es.
„Ich bin bisexuell, weißt du“, erklärte Angelika beiläufig, während sie wieder kurz im Wohnzimmer auftauchte. Es klang fast, als würde sie mir lediglich erzählen, sie habe ein Fahrrad im Keller.
„Ich bin eher lesbisch„, rollte mir über die Lippen. Ich war selbst von meinem Entgegenkommen überrascht, doch angesichts von Angelikas Offenheit herumzudrucksen, wäre doch sehr absurd gewesen.
Wortlos kehrte Angelika zurück ins Zimmer und maß mich einige Augenblicke mit ihrem Blick.
„Eher?“, hakte sie nach, während sie ihre Augenbrauen inquisitorisch nach oben zog.
Zu unserem Ausflug in die Galerie kam es an dem Tag nicht mehr. Statt dessen mixte sie uns einige Drinks. Angelika besaß eine ausufernde Wohnzimmerbar, die den Verdacht aufkommen ließ, sie sei eine Alkoholikerin. Ich bekam einen Georgia Peach – offensichtlich in Anspielung darauf, dass wir eine Georgia-O’Keeffe-Ausstellung versäumten, während sie selbst einen super mondänen Metropolitan trank.
Wir plauderten über Gott und die Welt, aber je mehr der Brandy sich den Weg durch unseren Kreislauf bahnte, um so mehr zog es uns zu anzüglicheren Themen hin. Angetrunken wie ich war, beichtete ich Angelika, dass ich erst eine Freundin hatte, die allerdings eine recht hartgesottene Kampflesbe gewesen war und dass mich das Ende der Beziehung sogar etwas ratlos zurückließ. Darüber, ob dies wirklich das richtige für mich war. Und ob es nicht möglich wäre, dass ich nur sexuell verwirrt bin. Britta hatte mit mir Schluss gemacht, da ich nicht gewillt war, mit ihr in der „Szene“ rumzuhängen und in ihrem Treff-Café, wo Männer keinen Zutritt hatten.
„Und wie steht es mit dem Penis?“, fragte Angelika.
Ich machte eine vage Handbewegung, als hätte sie mich gefragt, ob ich einen Handstand machen kann.
„Nicht wirklich der Rausch“, entgegnete ich und blickte verlegen auf meinen Lippenstiftabdruck am Glasrand. „Ich zwang mich eine Weile dazu und redete mir ein, es würde mir gefallen.“
„Die Macht der Autosuggestion“, sagte darauf Angelika und lachte auf. „Ich habe es vor über zehn Jahren aufgegeben.“
„Und seit dem nur … nur mit Frauen?“
Sie zuckte mit den Achseln. „Ich wusste einen tüchtigen Liebhaber zu schätzen, aber deren ständig bedrohtes Selbstwertgefühl und das unentwegt sich aufblähende Ego trug dazu bei, dass ich immer weniger Energie aufbringen konnte, das alles über mich ergehen zu lassen.“
Plötzlich blickte sie mich über den Rand ihrer Hornbrille und zitierte auf einmal Baudelaire.
„Wie so oft bat ich den Wein,
zu vertreiben mir die Ängste,
doch der Wein hält
Aug‘ und Ohr besonders fein.“
„Das ist aber kein Wein“, witzelte ich.
Sie fragte mich geradeaus: „Zeigst du mir deine Mumu?“
Ich räusperte mich verlegen und errötete vermutlich so grell wie ein Stopp-Zeichen. Doch ich stellte schnell das Glas auf den niedrigen Tisch und kämpfte mich nervös auf die High-Heels, die mich bereits ziemlich drückten. Ich rollte meinen Rock ein wenig hoch und ertastete den Rand meines Slips. Ich zog ihr herunter. Mein Herz pochte. Ich fragte mich, ob ich nicht in der nächsten Minute ohnmächtig werde.
‚Nicht nachdenken!‘, sagte ich mir. ‚Einfach tun.‘
Langsam sank ich mich wieder auf das Sofa und spreizte allmählich die Beine. Ich winkelte sogar das rechte Bein etwas an und stützte die Ferse am Rand des Sofas, damit Angelika, die zu meiner Rechten saß, besser sehen konnte.
Sie hatte sich längst mit einer majestätischen Gelassenheit zurückgelehnt und nippte an ihrem Cocktailglas, während sie mich mir mit einem selbstbewussten Lächeln in den Schritt blickte.
„Der Blick ist keine reine Männersache. Ich habe schon immer gerne hingesehen„, erklärte sie mir. „Ich möchte dir im Gegenzug auch etwas zeigen. Und zwar mein Schlafzimmer.“
Ihr Schlafzimmer nahm sichtlich Inspiration aus einem Rokoko-Boudoir, während in der Ecke des Raumes ein riesige Tiki-Korbstuhl stand. Sie ließ sich dorthin fallen, den Drink noch immer in ihrer Hand.
„Zieh dich aus, meine Liebe“, sagte sie mit leiser Stimme.
Ich folgte der Aufforderung, zog am Reisverschluss meines Minirocks, ließ diesen zu meinen Knöcheln fallen, während ich langsam die Knöpfe meiner Bluse öffnete. Am Ende stand ich nur in meinen langen Nylonstrümpfen vor ihr. Angelika trat näher an mich und streichelte über mein Haar.
„Du gefällst mir, weißt du“, flüsterte sie. Sie hielt mir ihr Glas an die Lippen, drückte es etwas hoch, damit sich die Flüssigkeit in meinen Mund ergoss. Dann fuhr sie mit dem Daumen über meine benetzte Unterlippe.
Ich wusste, sie war im Begriff meine erotische Mentorin zu werden. Es würde ganz anders sein, als mit Britta, die ständig alles zu sinnliche als „Männerfantasien“ verteufelte. Angelikas Fingerspitzen streiften über meine Nippel. Ich atmete leise. Doch als ihre Hand meine Spalte berührte, seufzte ich regelrecht auf.
Bald schon lagen wir in einer innigen Umarmung auf dem Bett, beide nackt und voneinander verzaubert. Die Generationen zwischen uns konnten uns nicht trennen und das Geflüster der Welt da draußen interessierte uns nicht.
Angelika nahm mich in ihren Arm, küsste mich, während ihre Handfläche sanft über meinem Schoß kreiste. Sie suchte nicht explizit die Klitoris mit der Fingerkuppe, sondern blieb bei ihrer Berührung vage und sublim. Es stachelte mich nur zu immer mehr Lust und Begierde auf. Bald schon war ich es, die meine Möse härter gegen ihren Handwurzelknochen presste. Beherrscht von ihren Lippen, die Luft aus ihren Lungen einatmend, kam ich bald zu einem wundervollen Höhepunkt, so frei und doch so schön eingebettet in Vertrauen. Unsere Berührungen waren wie eine Welle, auf der wir gemeinsam ritten.
Britta hatte es nie geschafft, mich nur mit der Hand zum Orgasmus zu bringen. Sie hatte es paarmal mit der Zunge geschafft, so wie einige Männer zuvor, aber niemals mit so einer selbstverständlichen Lässigkeit wie Angelika. Ich hing an ihren Lippen. Ja, sie sollte meine Lehrerin, meine Erzieherin, meine Mentorin sein. Bitte, bitte, bitte … Ich wagte es nicht, sie danach zu fragen – und hoffte doch so innständig, ihre Gedanken würden um denselben Gegenstand kreisen.
„Lecke mich, Süße“, forderte mich Angelika nach einigen Minuten auf. „Doch ganz ohne Hektik.“
Meine Lippen tänzelten sanft über ihrem Unterbauch, während meine Zunge immer wieder ein wenig hervorkam, als suchte sie zaghaft den Pfad zu der Leistenbeuge. Bald schon kitzelte mich der kurze, etwas gestutzte Busch auf der Nasenspitze. Heimlich sog ich ihren Duft in mich. Ich liebte es, wie sie roch.
Dann leckte ich sie, so wie ich es selbst liebte geleckt zu werden. Zwischendrin biss ich ein wenig ihre Schamlippen, zog an ihnen mit meinen Zähnen und bestrafte den kleinen Kitzler mit meiner Zungenspitze.
„Ich möchte jetzt, dass du einen Satz zeichnest“, flüsterte Angelika. „Mit der Zungenspitze auf meiner Klitoris. Buchstabe für Buchstabe.“ Sie hauchte die Worte leise aus, unfähig ihre Erregung zu verbergen. „Zeichne ‚Ich liebe dich, Angelika ‚…“
So begann ich mit dem „I“, dann kam das „C“, dann das „H“.
Der Satz wurde nie vollendet. Ich kam nur bis zum „D“, da schrie sie vor Lust auf. Plötzlich griff sie nach meinem Kopf und presste ihn sehr fest gegen ihre Fut. Luftholen war da nicht drin, doch ich wusste, ich kann das aushalten. Es war geronnene Ekstase, in einer zunehmend ersterbenden Bewegung.
Danach lag ich noch eine Weile zwischen ihren Beinen, mit der Wange auf ihrem Oberschenkel und blickte verzaubert auf ihre schöne Blüte. Georgia O’Keeffe und Georgia Peach. Ich wurde nach Strich und Faden verführt. Von einer äußerst mächtigen Zauberin.
Die Eindrücke hallten in den kommenden Tagen in mir nach. Oft erwachte ich in meiner Arbeitszeit aus solchen Tagträumen und meine Augen suchten nach Schärfe auf den belanglosen Papierstapeln vor mir.
Mein Leben mit Angelika war zweifelsohne die schönste Zeit meines Lebens. Es fiel nicht schwer, so zu empfinden und ihrer Strahlkraft zu unterliegen. In der Firma war sie eine nüchterne, geschiedene Frau, von der einige Männer süffisant witzelten, sie hätte zum letzten Mal Sex gehabt, als die Berliner Mauer hochgezogen wurde. Doch mit mir zusammen war sie eine leidenschaftliche Femme, der diese Schlappschwänze in Anzügen nicht das Wasser reichen konnten. Sie mussten erbärmliche Witze reißen, um sich davon abzulenken, dass sie halstief in erbärmlichen Ehen, oder in erbärmlichen Scheidungen steckten. Ich war innerlich stolz darauf, ein Mond zu sein, der um den Planeten Angelika kreiste.
In einem Unternehmen mit so hoher Macho-Quote, war es nicht verwunderlich, dass Angelika einen großen Wert darauf legte, die beiden vorherrschenden Welten – den Beruf und das exzentrische Privatleben – separat zu halten. Wie zwei Kontinente, die von einem großen Ozean getrennt sind. Die einzige Landbrücke die sie verband, war ihre distinguierte, gebildete Art.
Sie verstand hierbei keinen Spaß und hätte nie gestattet, dass wir uns hinter verschlossenen Türen ihres Büros kurz küssten. Ich musste sie den ganzen Tag siezen und sie ignorierte mich mit derselben Kälte, mit der sie alle anderen dafür bestrafte, dass sie lebten. Doch heimlich erregte mich das, diese kühle Strenge im Alltag, gepaart mit unserem Geheimnis. Manchmal sah ich es in ihrem Blick. Ein leichtes Blinzeln. Wie ein Geheimzeichen in einer Männer-Loge.
Einmal sprachen wir darüber. Ich war zweiundzwanzig Jahre alt und begann dieses leise Bedürfnis zu spüren, mein Leben weniger heimlich führen zu müssen. Es galt entsprechende Vereine zu unterstützen, auf die Straße zu gehen und auf die Trommel zu schlagen. Für die Frauen und für die Homosexuellen, für die Transvestiten und für die Gendernauten.
„Das Prärogativ der Jugend“, meinte sie lächelnd. Wir saßen wie gewohnt splitternackt auf dem bequemen Sofa, vor ihrem dunklen, englischen Teetisch, während durch die weitgeöffneten Fenster eine milde Sommerbrise hineinwehte. „In meinem Alter ist es zu spät, um sich noch das gesamte Leben zu ruinieren.“
„Das ist aber pessimistisch“, wandte ich ein.
Sie nahm stoisch einen Schluck Tee.
„Der Grund“, fuhr sie fort. „Weshalb dich die Menschen nicht auf der Straße totprügeln, hat damit zu tun, dass sie sich für ihre Intoleranz schämen, nicht deshalb, weil sie dich akzeptabel finden.“
„Heute ist es doch alles sehr anders. Und Lesben wurden doch immer weniger angefeindet, als schwule Männer oder Transsexuelle.“
„Weil wir beliebte Motive für Pornofilme sind“, meinte Angelika. „Doch die gesellschaftliche Akzeptanz ist ein künstliches Konstrukt, den sich eine prosperierende Gesellschaft als Luxus leistet. Ist sie nicht mehr prosperierend, verfällt der Mensch in uralte Strukturen. Dann steht dir nur noch die Aufgabe zu, eine Gebärerin von starken Nachkommen zu sein.“
„Du übertreibst manchmal!“, rief ich damals lachend aus.
„Mag sein“, sagte Angelika. „Ich bin stets von einem kulturpessimistischen Misstrauen beseelt. Und jetzt lass uns mal unter Beweis stellen, dass gegenseitige Tribadie nicht funktioniert.“
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