Der Tanzlehrer

Sie fühlte sich wie eine „Isabella“, oder eine „Sophia“, wenn sie Mittwoch abends zu ihren Tanzstunden ging. Für einen Augenblick konnte sie vergessen, dass sie Gudrun hieß. Und dies waren auch nicht die engen Gassen von Buenos Aires, wo die Nächte von leidenschaftlichen Klängen und verführerischen Tänzen erfüllt sind, wo der Tango das Herz und die Seele der Stadt ist. Es war lediglich Bochum.

Dafür war das Wetter gewohnt schlecht, und die Melancholie der Regentropfen verliehen ihrem Tun eine sentimentale, romantische Schwere. Sie war eine Privatschülerin. Ihr Lehrer hieß Carlos, der in Argentinien einst den Spitznamen „El Romántico“ besaß. Das war vor über 30 Jahren. Nun lebte er in Deutschland, wo die Leute sichtlich mehr für Tanzkurse zahlten und träumte von den guten alten Tagen, die – wie er selbst nach einigen Gläsern Wein zugab – nur selten wirklich gut waren.

„Mein Körper wird ausgelaugt und kaputt in den Sarg gehen“, erzählte er Gudrun. „So wie es sich gehört. Denn ich habe gelebt.“

Hierin lag der Schlüssel zu Gudruns Faszination. Sie war 29 Jahre alt, hatte bereits das zweite Kind, ihr Ehemann arbeitete bei der Versicherung. Sie hatten ein Haus, für das sie der Bank noch 95 Monatsraten schuldeten, ein geräumiges Auto für Kind und Kegel und Samstag fuhren sie dann einkaufen. Danach schoben sie zwei überfüllte Einkaufswagen über den flugplatzartigen Parkplatz vor dem Einkaufscenter und luden alles in den riesigen Kofferraum um.

Gudrun hatte keinen Grund, sich zu beklagen – und hätte sie es getan, sie hätte unbescheiden und kapriziös geklungen. Doch Glück lässt sich nicht erzwingen.

Die stereotype Vorstellung von einer Ehe geht stets davon aus, dass es der Mann ist, der sich um seine Freiheiten beschnitten fühlt und heimlich von großen Abenteuern in der Übersee träumt. Während die Ehefrau inmitten all des Familienglücks doch eher das Gefühl haben sollte, endlich angekommen zu sein.

Nun, in dieser Ehe war es umgekehrt. Es sprach nur niemand aus.

Doch Gudrun hatte nicht, am Käfig zu rütteln. Sie wollte nur eine kleine Insel für sich haben. Eine Insel, wo sie nicht die Ehefrau und Mutter war, mit den Dehnungsstreifen auf dem Bauch und einen furchtbar germanisch klingenden Namen. Denn das andere Klischee prallte eindeutig nicht an ihr ab: wenn Frauen so fühlen, fangen sie an, Tango Argentino zu lernen.

Der Tango ist ein effektives Mittel, um die Beengung des Alltags zu überwinden. Denn die Nicht-Eingeweihten halten es für einen altmodischen Tanz, die Aficionados dagegen wissen, dass es nur wenige Jahrzehnte her ist, da wurde dieser Tanz ausschließlich von Dirnen getanzt und den Milongueros, welche das Zwielicht zu ihrer Welt machten.

„El Romántico“ fand schnell Gefallen an Gudrun, die anfangs in seiner Sonntagstanzgruppe die Schritte lernte. Sie tat sich schnell hervor, da sie als Teenager Aerobic und Jazz-Dance praktiziert hatte, sogar mit einer Teilnahme an Wettbewerben. Die einst eingebläute Fähigkeit zur Körperkoordination machte sich bald bemerkbar. Zugleich war Gudrun von Carlos fasziniert. Der Tanzlehrer war bereits 66 Jahre alt und man konnte auch nicht sagen, er wäre einer dieser Männer, die sich „gut gehalten“ haben. Zwar ließ sich erkennen, dass er einst mal ein attraktiver Latino gewesen war, doch Alkohol, Zigaretten, Marihuana und ein Leben extrem unregelmäßiger Schlafenszeiten hatten ihre Spuren hinterlassen.

Und doch strahlte sein ganzes Wesen jenes einfache Freiheitsgefühl, nach dem sie sich sehnte. Die Rillen in seinem Gesicht, hinterlassen von Ausschweifungen und endlosen Nächten übten eine tiefe Anziehungskraft auf Gudrun. Als wäre er im Stande, ihr genau jene unsichtbare Tür zu öffnen, welche sie blind suchte.

Sie wollte mehr Unterricht von ihm und fragte ihn einmal nach Privatstunden. Es war eine knifflige Situation. Privatstunden würden sich summieren und teuer sein, sie musste es ihrem Ehemann erklären. Weshalb es ihr plötzlich so wichtig sein sollte, über die üblichen Unterrichtseinheiten in einer Gruppe hinauszuwachsen. Wollte sie eine Show-Tänzerin werden? Natürlich nicht. Es war absurd.

Carlos lächelte nur freundlich und meinte: „Sprechen wir nicht über Geld. Machen wir einfach paar Stunden und schauen, ob es dir was bringt.“

Allein dieses Laissez-faire war so undeutsch und so freiheitlich, dass es sie geradezu betörte.

Als sie dann an einem Mittwochabend in seiner kleinen Tanzschule eintraf, war es dort leer und dunkel. Sie war enttäuscht, gab aber nicht so schnell auf. Sie suchte den Lehrer in der Küche und fand ihn schließlich in seiner winzigen Wohnung über der Tanzfläche. Es war nur etwas mehr als eine Kammer mit einer alten Seetruhe und Tango-Postern an der Wand, welche Carlos‘ glorreiche Zeit im barrio bezeugten.

Carlos lag auf dem Bett, zumindest halb. Die leere Martiniflasche lag auf dem gewellten Teppich. Gudrun setzte sich neben Carlos und rüttelte ein wenig seinen Arm.

„Maestro“, sagte sie und achtete darauf, das „s“ nicht auszusprechen, „Geht es Ihnen gut?“

Sie konnte natürlich die Alkoholfahne riechen und dachte daran, dass es vielleicht besser gewesen wäre, einfach heimzugehen.

Carlos brummte, öffnete die Augen und richtete sich etwas auf. Er rieb sich das zerknautschte Gesicht und blickte sie orientierungslos an.

„Du bist …“

„Gudrun“, vervollständigte sie seinen Satz. „Wir hätten Privatstunden haben sollen.“

„Sorry“, murmelte er und setzte sich auf. „Ich bin nicht mehr so fit wie damals. Werde niemals alt, Chiquita.“

Er röchelte etwas vor sich hin und glättete das ergraute, halblange Haar nach hinten.

„Ich komme dann einfach nächste Woche“, meinte Gudrun, die Enttäuschung in ihrer Stimme nicht verbergend.

Carlos schien das zu überhören. Er begab sich zur Treppe und stieg mit unsicherem Schritt herab. Gudrun folgte ihm stumm. Der Tanzlehrer ging in die Küche und begann dort einen Kaffee zu kochen. Inzwischen war er deutlich wacher, was der damit unter Beweis stellte, dass er sich eine Zigarette in den Mundwinkel steckte und diese anzündete.

„Warum willst du Tango lernen?“

„Ich bin schon seit sechs Wochen in Ihrem Kurs. Ich würde sagen, ich lerne es schon eine Weile.“

„Ja, ja, aber warum?“

„Es ist ein schöner, sinnlicher Tanz…“

Carlos grinste und verschränkte die Arme vor dem Körper.

„Aha… Das war keine Fangfrage. Es ist nicht nötig, mir die weichgespülte Antwort zu geben. Wir in Argentina lernen den Tango, weil er da ist. Er war schon vor hundert Jahren da und das ist alles. Man würde niemanden in Buenos Aires fragen, warum er oder sie Tango lernt. Das wäre, wie jemanden in Deutschland zu fragen, warum ihr Weihnachten feiert. Das ist der Unterschied. Wenn ihr Deutschen Tango lernt, habt ihr immer einen Grund. Manchmal wisst ihr den Grund selbst nicht, aber er ist da.“

Gudrun war etwas ratlos über diese Erklärung.

„Ich …“, sie überlegte krampfhaft, was sie darauf sagen sollte. „Ich vermute, dass ich eine andere Identität haben möchte, wenn auch für Augenblicke.“

Der Tanzlehrer nickte stumm, während er die Tassen mit Wasser füllte.

„Andere Identität. So wie eine Maske, nicht wahr? So wie Karneval“, meinte er und setzte sich an den kleinen Tisch. Gudrun nahm ihm gegenüber Platz.

„Ja, so ähnlich“, stimmte sie ihm zu.

„Zucker?“, fragte Carlos. Sie nickte stumm.

„Es wäre vermutlich effektiver und sicherlich einfacher, dafür in einen Swingerclub zu gehen, oder?“

Es war eine provokante Frage, als würde er sie testen, während sein Blick bemüht war sein etwas boshaftes Amüsement zu verbergen.

Gudrun blickte überrascht hoch, die Hand mit dem Zucker rutschte etwas aus.

„Maestro, den Gang in den Swingerclub meinem Mann zu erklären, wäre deutlich schwieriger. Außerdem, bedienen Sie da nicht ein ziemliches Klischee? Dass Europäer nur deshalb Tango Argentino lernen, weil sie untervögelt sind?“

Er lachte auf und trank gemütlich einen Schluck Kaffee.

„Ich bin zwar noch weit davon entfernt, nüchtern zu sein, aber ich möchte paar Sachen mal klarstellen. Erstens, genug mit diesem Mae’tro-Scheiß. Nenn mich Carlos. Und da wir ohnehin über Sex reden, solltest du vielleicht endlich aufhören, mich zu siezen. Du bist im Kurs die einzige, die es macht.“

„OK …“, sagte sie zögerlich. „Carlos …“

„Ist ja alles kein Rätsel“, meinte er. „Der Tanz war seit Jahrhunderten ein Anlass, dass Mann und Frau sich kennenlernen und sich näher kommen. Kulturen haben da so ihre Tricks.“

Gudrun nahm ebenfalls einen Schluck Kaffee. Er war versüßt, doch sie ließ sich nicht anmerken.

„Ich vermisse Sex“, sagte Carlos und drückte die Zigarette im Aschenbecher auch.

„Ich auch“, flüsterte fast unhörbar Gudrun.

„Da sitzen wir, zwei untersexte Tänzer.“ Er grinste sie an. „Er zu alt, sie zu verheiratet.“

„Du bist nicht zu alt“, warf Gudrun ein, beinahe wie ein Reflex.

„Und du bist nicht zu verheiratet“, brummte der Tanzlehrer.

Sie fühlte eine Seelenverwandtschaft mit ihm. Es war eine absurde Idee, denn er nahm sie vermutlich kaum ernst. Plötzlich brach da etwas in ihren Gedanken hervor. Etwas, womit sie nicht gerechnet hatte. Es war ein Impuls, gekleidet in die Lust, etwas Unerwartetes, etwas Schockierendes zu tun. Ein Kontrastprogramm zu der restlichen Woche, die sie erwartete.

Gudrun rutschte von ihrem Stuhl auf den Boden, direkt zwischen dir Knie des Tanzlehrers. Mit schnellen Griffen begann sie seine Hose aufzuknöpfen. Wird er was dagegen haben? Soll er sie doch unterbrechen. Doch das geschah nicht.

Fünf Sekunden später hatte sie seinen Schwanz im Mund. Kein Widerspruch kam, keine sarkastische Bemerkung. Alles was sie über ihr hörte, war das Geräusch des Feuerzeugs, mit dem sich Carlos die nächste Zigarette anzündete.

Der Schwanz ließ sich Zeit, sich ordentlich aufzustellen. Zu oft hatte dieses Glied die Arena der Lust betreten. Dieser Schwanz war wie ein abgehalfterter Preisboxer, der noch einmal symbolisch in den Boxring steigt, gewahr dessen, dass die Zeit der Triumphe vorüber ist.

Und doch konnte sie deutlich auf ihrer Zunge und zwischen ihren Lippen spüren, dass es ihm gefiel.

Schließlich ergoss sich sein Sperma in ihren Mund. Sie schluckte ihn brav und fuhr dann mit dem Handrücken über die Lippen, während sie wieder auf ihren Stuhl kletterte.

„Danke, Gudrun“, sagte der alte Tanzlehrer leise. Die Zigarette in seiner Hand hatte eine lange Asche gebildet, die nur darauf wartete, auf den Boden zu fallen.

„Wenn wir zusammen sind“, sagte sie leise, „kannst du mich anders nennen? Ich will da nicht Gudrun sein.“

„Wie soll ich dich nennen?“

„Das ist egal. Wie du möchtest.“

Sein Mundwinkel zuckte.

„Bueno. Dann nenne ich dich jedes Mal anders. Nächsten Mittwoch wirst du Isabella sein. Und die Woche darauf Sophia.“

Und so begannen sie eine geheime, ungewöhnliche Affäre. Die junge Ehefrau und Mutter, die sich für jeden Mittwochabend in eine Isabella, Claudia, Anna, Sophia, Raquel, Miranda, oder Juanita verwandelte. Sie tanzen fortan auch viel. Carlos lehrte sie jeden Mittwoch. Doch Geld verlangte er dafür nie. Gudrun begann dennoch, ihm etwas überweisen, da sie zuhause nicht erklären wollte, weshalb sie so viele kostenlose Tanzstunden erhielt.

Doch die meiste Zeit verbrachte sie mit Carlos oben in seinem winzigen Zimmer. Sie blies gerne seinen Schwanz, mit aller gebotenen Geduld und hatte während seiner Orgasmen das Gefühl, Teil seiner Welt zu sein. Doch Carlos begann sie auch zu lecken und tat dies mit großer Leidenschaft und unübersehbarer Erfahrung. Seine Technik war hervorragend.

Gudrun blühte bei diesem Fremdgehen geradezu auf. Sie war mit ihren Kindern geduldiger, gegenüber ihrem Mann verständnisvoller und gegenüber ihren Kollegen freundlicher. Sie hätte wohl auch schlechtes Gewissen haben sollen, da sie doch ihren Mann nach Strich und Faden betrog. Zumindest oral.

Ihr Gewissen schwieg jedoch. Dies hatte damit zu tun, dass nicht sie es war, die ihren Mann betrog. Sie tanzte nur Tango Argentino. Das Fellatio und der Cunnilingus – das waren alles Isabella, Claudia, Anna, Sophia, Raquel, Miranda und Juanita. Alles anrüchige Weiber, nächtliche Schattengewächse und Frauen von niederer Moral. Herrliche Masken.

Visited 43 times, 1 visit(s) today
Kategorien |||

Eine Antwort zu „Der Tanzlehrer“

  1. Avatar von SchwabingManni
    SchwabingManni

    Das ist aber eine schöne Geschichte. Ich hatte mich an der besonderen Stimmung sehr erfreut. Servus aus München.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

  1. Ach ich wünschte, dass das mein Mann wäre und mich so nutzt wie ich es brauche. Dreamlife